Wer ist angesprochen, wenn der Pressesprecher twittert?
Eindeutigkeit braucht das Social Media Land! Twitternde Unternehmen sind manchmal schön und manchmal gut. Dialog ist das hehre Ziel. Mehr oder weniger. Doch wer spricht mit wem und vor allem: Mit wem nicht? Ich unke, das Publikum sei der blinde Fleck im Social Web. Denn Publikum ist nicht gleich Zielgruppe. Es folgt mein Versuch einer konstruktiven Kritik am Status quo so mancher Kommunikations-Strategie.
Ansprechende Ansprache
Der Klassiker: Einer winkt. Ich winke zurück. Huch, der meint mich ja gar nicht. Schnell weg… Und wer ist eigentlich angesprochen, wenn ein Pressesprecher twittert? Der Name sagt es: Der Pressesprecher spricht für die Presse. Nur wer ist im Sozialen Web die Presse? Sollen alle ohne Presseausweis weghören? Wird im sozialen Netz schwierig. Neusprech machts nicht leichter: Kommunikatoren, Manager, Berater, wer auch immer. Ungünstig, wenn Person und Firma sich fröhlich verquicken. Auf den Punkt bringt es Dörte Giebel mit ihrem Blog-Beitrag „Wer spricht, wenn der Pressesprecher twittert?“. Aus aktuellem Anlass bediene ich mich ihrer Gedanken: „wer hier eigentlich mit wem und eben auch für wen“. Das Für-wen ist mein Thema, doch umgekehrt: Fällt Euch ein Antonym zu ‚Zielgruppe‘ ein? Mir nicht. Was also, wenn ich mich angesprochen fühle, obwohl ich gar nicht angesprochen wurde? Doch von vorn…
Rückgrat: Ei des Kolumbus
Es war einmal das Leben. Samstag mit meinem Zwerg in der Kaufhalle. Freilandeier. Freie Hühner, freie Ware. Soll heißen: Ohne Karton. Ein Ei fällt zu Boden. Wie von Zauberhand. Oha, wie schade. Krisenmanagement: 1. Unfallzone weiträumig vor Durchlatschern sichern. 2. Ei-Beauftragte holen. 3. Ernsthaftes Bedauern. 4. Aufwischen helfen. Netter Schnack mit der Ersthelferin. Alle sind wieder glücklich. Die Moral von der Geschicht? Rückgrat ist die beste aller Strategien. Charakter hat es, als Unternehmensbotschafter unmittelbar auf einen Blog-Beitrag zu re-agieren. Ein guter Anfang in Richtung 2.0. Das Ziel vor Augen: ‚Echter Dialog‘ ist auch im sozialen Netz möglich, „es kommt ganz darauf an wo und wie man kommuniziert“ antwortet @EdWohlfart auf meine getwitterte Frage. Neuland will nur betreten werden!
Rollentausch: Wir alle spielen Theater
Gar nicht despektierlich ist es, als Sprechender wie Schreibender in Rollen zu schlüpfen. Wir alle spielen Theater, stets und ständig. So der Soziologe Erwing Goffman bereits 1959 in The Presentation of Self in Every-day Life. Pflichtlektüre für jeden professionellen Kommunikator! Verwandeln heißt nicht täuschen. ‚Relations in Public‘ kommen lange vor Public Relations! Sich als Mensch darstellen. Homo oeconomicus vs. Homo Reciprocans? Hauptsache ‚corporate‘? Big Brother is watching. Hauptsache echt! Rollen müssen erst noch gefunden werden. Unternehmenssprecher erfinden sich neu. Mut zur Lücke! Fragen und Re-Aktion als Interimslösung, E-Mails auch. Ich bagatellisiere, eben „eine Menge Luft nach oben“, wie es Kerstin Hoffmann in ihrer PR-Utopie 2013 zusammenfasst.
Ankommen: Kommunikation ist, wenn einer versteht
Das große Missverständnis: Kommunizieren heißt nicht, zu senden. Kommunizieren heißt, verstanden zu werden. Einmal in der Soziologie gelandet, mahnt Niklas Luhmann mit seinem ganz anderen Blick: „Begreift man Kommunikation als Synthese dreier Selektionen, als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen, so ist die Kommunikation realisiert, wenn und soweit das Verstehen zustandekommt.“ Achtung, liebe Kommunikatoren: Nicht auf das Mitgeteilte, sondern auf das Verstandene kommt es an! Kratzt sich einer am Kopf (Information), ich sehe das (Mitteilung) und denke, der hat mir einen Vogel gezeigt (Verstehen), so hat er mir einen Vogel gezeigt. Basta! Wenn mir einer winkt, dann winkt er mir. Wenn mir jemand twittert, dann twittert er mir.
Der blinde Fleck der Online Relations

Publikum vs. Zielgruppe
CC BY-ND 3.0 DE
Wer es bis hierhin geschafft hat, prima, es ist Euer Text! Ihr habt mitgenommen, was Ihr wolltet, was Ihr gebrauchen konntet. Der Unterschied von mir zum klassischen Unternehmen: Ich habe keine Zielgruppe. Mein Text ist für alle da. Ihr könnt damit anstellen, was immer Ihr wollt. Ihr seid meine Dialoggruppe, ich spreche zu Euch. Ihr selbst legt fest, wer dazu gehört und wer nicht. Ich mache Euch lediglich Kommunikationsangebote. Ihr werdet nicht lesen, was ich schreibe, weil ich möchte, dass Ihr es lest. Ich sehe mich prinzipiell einem Publikum gegenüber.
Hingegen Unternehmen müssen Ziel- und Dialoggruppen bestimmen. Doch solange Unternehmen nicht klar herausstellen, wen sie ansprechen, müssen sie immer damit rechnen, ‚den Falschen‘ erreicht zu haben. So die Mindestanforderung. Im Social Web ist prinzipiell jeder angesprochen. Für den blinden Fleck im Publikum, für die ‚nicht Zielgruppe‘ gibt es wohl (noch) keine Konzepte: ‚Audience Gap‘ in mehrerer Hinsicht. Oder doch? Mein Vorschlag: Wieder und immer wieder die Perspektive wechseln und die eigenen Kommunikationsangebote mit dem unverstellten Blick eines Nutzers sehen. Echter Dialog, in der Rolle kleiner wie großer Unternehmensbotschafter und immer beim Publikum, nicht nur bei der Zielgruppe. Davon hätte jeder was.
Mein letztes Wort: Da geht noch was! 😉
Nachtrag (22.08.2013): Mein ‚Zielgruppenproblem‘ ließ mir keine Ruhe. So stellte ich meine Frage gestern in einem Kommentar auf dem Blog des PR-Spezialisten Thomas Pleil, Professor für Public Relations an der Hochschule Darmstadt. Wenige Stunden später erhielt ich eine Antwort. Was für ein Luxus! Ich kenne es ja noch so, dass Fragen eigener Termine bedurften. Ich bin einmal mehr begeistert… Seine Antwort könnt Ihr in aller Ausführlichkeit im Blog-Kommentar nachlesen. Meine Kurzzusammenfassung: Stakeholder-Theorie + Hinhören und Verstehen + Integration aller Interessenten. Jetzt bin ich erstmal zufrieden. Danke!