Interview mit der Künstlerin Tanja Maria Ernst: „… zum digitalen Skizzenbuch“

Interview – Kunst

Die Stuttgarter Künstlerin Tanja Maria Ernst sammelt und sortiert Gedanken in ihrem Blog. Zum Malen und Illustrieren kommt damit auch das Schreiben. Bisher am papiernen Notizbuch gescheitert, entwickelt sie Ideen und Konzepte nun mit ihrem digitalen Skizzenbuch. Vor aller Augen und unmittelbar. Im Arbeiten sonst eher zurückgezogen, bleiben Kontakte nicht länger auf Ausstellung oder Telefon beschränkt. Öffentlich ist nicht mehr nur das fertige Werk – Leser und Betrachter mittendrin, im ‚making of‘. Mit ihren Werken möchte Tanja Maria Ernst Geschichten erzählen und kehrt mit der Malerei zu ihrer eigenen Geschichte zurück: Schon ihr Großvater war Maler und über allem thront der Name ihres Großonkels Max Ernst. Vielleicht gerade weil es kein Besser gibt, gilt es einmal mehr die eigenen Geschichten zu erzählen. Immer den Blick nach vorn gerichtet, in die Zukunft des Sehens. Neue Wege wollen gegangen werden. Künstler sind Zeitmaschinen, indem sie vorweg nehmen, was erst vom späteren Betrachter gesehen wird. mehr…

Einstieg: Wie bist Du zum Schreiben gekommen?
Der Entschluß im Januar dieses Jahres einen eigenen Blog zu starten, stellt tatsächlich die Realisierung eines lange gehegten Traumes für mich dar. Weniger, um meine malerischen Arbeiten zeigen zu können (dafür gibt es das Archiv auf meiner Website), sondern um meinen eigenen Gedanken folgen zu können und um endlich einen Grund zu haben, öfter und besser zu schreiben. Schon im Abitur habe ich es bedauert, Deutsch und Kunst nicht kombinieren zu können. Bei uns in Baden-Württemberg hieß das damals ‚fachverwandte Fächer‘. Was für Mathe und Physik natürlich nicht zutraf. Aber wir leben hier im Land der Tüftler und Ingenieure, da stehen Geisteswissenschaftler weniger hoch im Kurs. Ich habe mit 14 mein erstes ‚Buch‘ geschrieben und nach dem Diplom mit einer Studienkollegin nochmals Anlauf zu einem Jugendroman genommen. Beide Projekte sind in der Schublade verstorben. Was vermutlich besser so ist… An der Hochschule hatte ich gute Lehrer, die mich ermutigten, weiterzumachen. In die Öffentlichkeit bin ich nie wirklich gegangen, außer mit den Pressetexten für meine malerischen Arbeiten. Vielleicht weil ich das Gefühl hatte, EINE brotlose Kunst sei genug. Trotz allem begleitet mich die Liebe zum Text, zu den Büchern und zur Lyrik schon mein Leben lang und wird es immer tun.

Profession: Was heißt es für Dich, Künstlerin zu sein?
Der Blick wandelt sich im Lauf der Zeit. Im Moment sind mir zwei Dinge am wichtigsten: Offen zu sein, für alle Disziplinen, auch für Quereinsteiger und Querdenker, und mir selbst treu zu bleiben. Unser Kunstmarkt propagiert immer noch Strukturen, in denen Kunstwerke wie eine luxuriöse Handelsware positioniert werden. In großen, weißen, zunehmend menschenleeren Räumen. Und der Galerist hat in diesen schwierigen Strukturen die mehr als anspruchsvolle Aufgabe, den Seiltanz zwischen zahlendem Kunden und Künstler zu absolvieren. Wir versuchen in diesem Geflecht unseren Platz zu finden und gleichzeitig mit dem Ohr und dem Herzen in der Zukunft zu sein. Die besten Künstler unserer Geschichte wurden von ihren Zeitgenossen nicht verstanden, weil sie Dinge vorwegnahmen, die den Sehgewohnheiten der Menschen erst viele Jahre später entsprachen. Ein guter Künstler ist für mich auch immer eine Art Zeitmaschine.

Lokalisation: Wie und wo schreibst Du?
Ich schreibe fast immer am Rechner. Daneben bin ich ein absoluter Notiz-Zettel-Chaot. Überall liegt etwas herum. Einmal im halben Jahr muß ich klar Schiff machen, um den Überblick nicht zu verlieren. Die Bemühungen um Notizbücher sind in den letzten Jahren immer fehlgeschlagen, leider.

Organisation: Wie sammelst und organisierst Du Deine Gedanken, bevor Du sie ‚aufs Papier‘ bringst?
Tja, besagtes Zettel-Drama. Ansonsten sammle ich wenig. Seit einiger Zeit habe ich einen Ordner in meinem E-Mail-Programm. Hier verschicke ich Links an meine Adresse. Das ist mein Reservoir für die Arbeit am Blog. Ansonsten muß ich die Dinge SOFORT tun. Schiebe ich die Arbeit auf, gehen oft die besten Formulierungen verloren. Bei näherer Beobachtung scheint sich hier das Prinzip aus meiner malerischen Praxis zu wiederholen. Ich versuche seit Jahren wieder mit einem Skizzenbuch zu beginnen und scheitere bei jedem Anlauf kläglich. Kunst und Text scheinen bei mir aus dem Ärmel zu kommen, oder sie kommen gar nicht. Mit jeder neuen ‚Beleuchtung‘ einer Idee wird diese für mich fader. Woran auch immer das liegen mag…

Fünfsatz: Worum geht es in Deinem aktuellen Kunstprojekt?
Im Moment bereite ich meine nächste Ausstellung im November vor. Spannend ist für mich derzeit, daß sich mein Wunsch oder meine Hoffnung hinsichtlich des Blogs, für meine malerische Arbeit bereits erfüllt hat: die Reihe über Jean Leon Gerome, die ich im März eingestellt hatte, hat wirklich zu neuen bildnerischen Ideen geführt – malerisch, konzeptionell wie kompositorisch. Einen Ausstellungstitel gibt es noch nicht. Vorab nur soviel: Es wird endlich wieder um eine meiner großen Lieben in der bildenden Kunst gehen – ums Portrait.

Motivation: Wann und wie kam die Idee zum Blog?
Wie gesagt, da Skizzenbücher bei mir nicht funktionieren, hoffe ich, daß der Blog auf Dauer die Funktion eines Skizzenbuches übernimmt. Wir werden sehen. Schaut man sich auf Plattformen wie tumblr um, sieht man, dies ist für viele Pinnwand und Skizzenbuch in einem. Vielleicht eine Variante, die den neuen Medien eher gerecht wird.

Bewerbung: Wie gehst Du mit Reaktionen auf Deine Werke um?
Ich arbeite ziemlich abgeschieden. Das heißt, ich bin bei Ausstellungseröffnungen da, um mit den Besuchern zu sprechen, ich reagiere natürlich auch auf Kommentare im Blog. Aber überall dort wird doch weitgehend die ‚Netikette‘ gepflegt. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß ich nicht mit polarisierenden Themen arbeite. Ich habe es nur ein- oder zweimal erlebt, daß ich wirklich kritisch auf meine Arbeit angesprochen wurde. Allerdings kann ich kaum behaupten, daß solche Gespräche meine Arbeit beeinflussen würden. Da habe ich viel mehr gelernt, wenn ich Schulklassen oder Malanfänger unterrichtet habe.

Austausch: Wer sind Deine Ansprechpartner rund um Dein Schaffen? 
Teile meiner Familie sind natürlich sehr eng mit meiner Arbeit verbunden, genauso wie auch gute und wichtige Freunde von mir. Davon muß man das professionelle Umfeld natürlich unterscheiden: Galeristen, Kuratoren, Museumsleitungen, Presse und Besucher.

Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit Social Media Aktivitäten und passen Blog und Kunst zusammen?
Es wird sich zeigen, ob der Blog als Dokumentation meiner inneren Prozesse auf Dauer funktioniert. Außerdem möchte ich gern erreichbarer sein, für die Menschen, die schon seit Jahren meine Arbeit begleiten, ohne dauernd am Telefon hängen zu müssen.

Eigenwill: Welche Frage müsste ich Dir unbedingt stellen? Und was würdest Du darauf antworten?
„Was ist der Kern Deiner Arbeit?“
Das Sammeln und Erzählen von Geschichten.

Und hier geht es direkt zu Tanja Maria Ernst:
Website: www.tanjamariaernst.de
Blog: tanjamariae.wordpress.com
 
Arbeitsproben aus der letzten Ausstellung findet Ihr auf ihrer Website.

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